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Lebensbericht von Dima aus Shitomir, Ukraine

Gott führte mich zu einem neuen Leben

„Der Herr zog mich aus der Grube des Verderbens, aus dem schmutzigen Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels; Er machte meine Schritte fest. Und gab mir ein neues Lied in meinen Mund. Ein Lob für unseren Gott.“ Psalm 40,3-4 „Wahrlich, Gott sieht die Person nicht an.“ Apostelgeschichte 10,34 „ER sinnt darauf, dass der Verstoßene nicht von ihm verstoßen bleibe!“ 2. Samuel 14,14 „ER hat keinen Gefallen am Tod des Gottlosen, sondern daran, dass der Gottlose umkehre von seinem Weg und lebe!“ Hesekiel 33,11 „Ich möchte darüber erzählen, wie der Herr mich begnadigt und vom Rande des Abgrunds gerettet hat, wie ER meine Seele aus der Hölle erlöst hat.“ Psalm 86,13

Mein Name ist Dima. Die frühe Kindheit verbrachte ich im Gebiet von Donezk, wo ich mit Vater, Mutter und Großmutter lebte. Soweit ich mich an meinen Vater erinnere, hat er immer viel getrunken. Als ich ein Jahr alt wurde, verließ uns meine Mutter, weil mein Vater sie sehr schlecht behandelte. Sie nahm uns Kinder ohne Erlaubnis meines Vaters mit sich, aber mein Vater fand uns eine Woche später und holte uns zurück. So wohnten wir bei meinem Vater und bei meiner Großmutter.

Als für mich die Zeit kam, in die Schule zu gehen, gab mich mein Vater ins Internat. An Wochenenden wurden alle Kinder nach Hause abgeholt. Dort in diesem Internat traf ich als erstes auf menschliche Grausamkeit, an die ich mich immer noch mit Schaudern erinnere.

Die Erzieher konnten ihre Schützlinge für kleinste Fehlverhalten blutig schlagen. Auf unsere Köpfe wurde oft mit dicken Linealen und Zeigestöcken geschlagen, die dabei direkt auf unserem Kopf zerbrachen. Von den starken Schlägen fielen die Kinder meist zu Boden. Mädchen wurden von den Erziehern an den Haaren gezogen, bis diese ausgerissene Haarbüschel in den Händen hatten. Die Mädchen wurden gewarnt, falls sie den Eltern davon berichten würden, würden ihnen alle Haare ausgerissen und den Eltern würde dann berichtet werden, dass die Kinder vorbeugend rasiert wurden gegen Läuse.

Uns Jungen traf es noch härter. Wir wurden mit Fäusten und Füßen geschlagen und getreten, uns wurden die Nasen blutig geschlagen und danach wurden wir zum Waschbecken geschleppt um uns das blutverschmierte Gesicht zu waschen. Wir wurden geschlagen, wenn wir zu schnell über den Flur rannten, wenn wir Läuse hatten, einfach für alles.

Ich freute mich immer auf das Wochenende, aber mich zu Hause zu beschweren, davor hatte ich Angst. Ich erinnere mich, dass die meisten Misshandlungen mein Freund Alexej abbekommen hat. Er hatte zwei Zahnspangen im Mund, um die Zähne auszurichten. Wir beide wurden immer zusammen in ein leeres Klassenzimmer geführt, und dann begann die "Erziehungsarbeit". Alexej wurde immer versprochen, dass ihm alle Zähne ausgeschlagen würden. Von den Schlägen, die ihm auf den Kopf niedergingen, sprangen beide Zahnspangen heraus, und er selbst fiel flach auf den Boden mit einem blutigen Gesicht und zerschlagener Nase. Dann zogen sie ihn zum Waschbecken, und er wurde gezwungen, sich zu waschen.

Dann kam ich an die Reihe, zur Erziehung auf die gleiche Weise. Ich war nicht groß und wand mich von den Schlägen oft heraus. Dann zog die Erzieherin mich an den Haaren oder an den Ohren zum Heizkörper und schlug meinen Kopf dagegen. Sie schlugen uns mit dem Kopf gegen den Boden, gegen die Wand, gegen die Tafel.
Von Kind an gewohnt an so viel Grausamkeit, verlor ich jegliche Lust zu lernen und wartete nur auf die Wochenenden, wo ich nach Hause konnte.

Jetzt, wenn ich mich an diese Zeit erinnere, verstehe ich, dass wir zu den „schwierigen“ Kindern zählten, aber die grausame Behandlung motivierte uns nicht, uns zu bessern. Im Internat begegnete ich Kindern, die ganz anders waren als wir. Sie ähnelten uns überhaupt nicht. Da waren eine Schwester und ihr Bruder. Die Erzieher sagten uns, das wären Kinder von Baptisten und dass ihr Vater im Gefängnis sitzt für den Glauben an Gott. Der Mutter wurden ihre Mutterrechte entzogen. In meinen Augen waren diese Kinder wie zwei Engelchen. Sie gingen immer zusammen und hielten sich an den Händen. Ich möchte in meinen Erinnerungen gerne etwas verweilen bei diesen Kindern, welche die ersten Zeugen Gottes in meinem Leben waren. Nein, sie konnten ihren Glauben noch nicht verkündigen: Der Junge war in der 3. Klasse und das Mädchen in der 2. Klasse. Aber sie waren leuchtende Zeugnisse von einer anderen Art von Beziehungen, von Beziehungen, die erfüllt waren von Frieden und Liebe.

Auf ihren Gesichtern, ungeachtet des schwierigen Lebens im Internat, leuchtete ein für mich unerklärlicher Friede. Sie lächelten immer und waren unzertrennlich. Die Erzieher verlangten von uns, zu berichten, wenn wir in der Nähe von Baptistenkindern Außenstehende sehen würden. Das erklärten sie uns damit, dass diese Kinder entführt werden könnten. Unter sich waren die Erzieher von diesen Kindern begeistert und sagten, wenn alle Internatskinder so wären, dann hätten sie keine Sorgen. Dann fügten sie hinzu: „Wofür werden sie denn überhaupt verfolgt?"

Abends führte man uns in die Aula, um Trickfilme oder Märchen anzusehen. Aber diese Kinder gingen nicht hin und wollten sich die Filme nicht ansehen. Einmal sah ich, wie das Mädchen weinte, weil sie dort nicht hingehen wollte. Das war für mich völlig unverständlich, alle fanden es interessant, Trickfilme zu sehen, aber diese beiden nicht! Später wurden sie während der Vorstellungen in den Hof zum Spazieren geschickt und wurden dabei aus dem Fenster beobachtet. Ich wollte mich so gerne mit ihnen beiden befreunden, aber meine Schüchternheit hinderte mich daran. Einmal wagte ich es doch, ihnen näherzutreten, aber als mich das Mädchen sah, verbarg sie ihr Gesicht an der Brust ihres Bruders. Er sagte, dass sie sich vor mir geniere und ich ging wieder weg. Ich versuchte es später noch einmal, mich mit ihnen zu befreunden, aber das Mädchen versteckte wieder ihr Gesicht vor mir und darum näherte ich mich ihnen nicht mehr.

Im Internat gab es einen großen Garten, an dessen Ende dichte, hohe Sträucher wuchsen und große, immergrüne Fichten. Wir Jungs liebten es, durch diesen Garten zu rennen. Einmal konnte ich im Garten beobachten, wie die Mutter dort ihre Kinder traf, es war für mich ein Geheimnis, wie sie miteinander umgingen.

Sie tauchte oft unerwartet im Garten auf und sofort kamen ihre Kinder zu ihr. Sie zog ihnen immer mitgebrachte sauber Kleidung an, sich duckend hinter den hohen Büschen, erzählte ihnen etwas, gab ihnen Leckereien, küsste sie und verschwand dann schnell wieder. Ich war daran interessiert, die Beziehung dieser Kinder zu beobachten. Der Bruder achtete immer auf seine jüngere Schwester und sie passte im Gegenzug auf ihn auf. Er ließ sie Kekse und Süßigkeiten aus seinen Händen abbeißen und sie gab sie ihm nach dem Abbeißen wieder zurück. Aber er versuchte immer ein kleineres Stück abzubeißen damit sie ein größeres Teil bekam. Einmal, als ich im Garten spazieren ging, sah ich, wie eine Erzieherin mit ihrer Mutter sprach und sich dabei ständig nach allen Seiten umsah. Es war offensichtlich, dass sie nicht wollte, dass jemand sie mit dieser Frau sah.
Ihre Mutter hatte immer einen langen Rock an und ein Kopftuch umgebunden. Einmal sah ich, wie sie einsam unter einer Tanne stand und Ausschau hielt nach ihren Kindern. Als sie mich sah, winkte sie mich herbei und bat mich, ihre Kinder zu rufen. Ich rannte, wie mir schien, schneller als der Wind und bald fand ihr Wiedersehen statt.
Ich stand abseits und beobachtete ihre Unterhaltung von weitem. Die Mutter rief mich und gab auch mir Süßigkeiten. Ich war zu schüchtern und wollte sie nicht annehmen, aber sie überredete mich, sie anzunehmen. Und ich selbst, ich wollte ihnen so gerne auch etwas geben. In der letzten Zeit kam ihre Mutter öfter und bald danach nahm sie ihre Kinder mit nach Hause.

Es wurde erzählt, dass sie sich sehr lange um die Herausgabe der Kinder bemüht hatte bis sie es endlich erreichte, dass sie entlassen wurden. Wir alle rannten herum, rauften und stritten uns, aber diese Kinder waren ganz anders. Von ihnen und ihrer Mama ging so viel Wärme und Gutmütigkeit aus, es war angenehm, ihnen zuzuschauen. Heute, wenn ich zurückschaue, kann ich klar erkennen, dass der liebende Gott sich mir offenbart in seinen Kindern. In meinem weiteren Leben folgten noch andere Begegnungen mit dem Volk Gottes, aber die Sünde verschloss fest meine Augen, damit ich das Wirken Gottes nicht sehen konnte und meine Ohren, so dass ich seinen Ruf nicht hörte.
Acht Jahre habe ich im Internat gelernt, besser gesagt, ich habe die Jahre abgesessen, und als ich die Entlassungspapiere bekam, bin ich in eine Lehre gegangen. Im 2. Lehrjahr verstarb mein Vater. Die Alkoholsucht brachte ihm ein schreckliches Ende ein. Betrunken schlief er im Bett mit einer brennenden Zigarette ein, was zur Folge hatte, dass das Bett zu schwelen anfing und er an dem Rauch erstickte.
Meine Oma und ich blieben alleine. Aber bald nach dem Tod meines Vaters erkrankte sie auch und wurde bettlägerig. Als sie im Sterben lag, stand ich neben ihr und hielt ihre Hand. Zum Abschied sagte sie mir: "Enkelchen, das wars… Ich sterbe. Du bleibst alleine zurück. Pass auf dich auf! Denk an mich!“ Ich sah ihr direkt in die Augen. Sie sagte noch einmal "Leb wohl", Tränen liefen aus ihren Augen, das Kinn zitterte. Plötzlich erstarrten die Augen und wurden glasig. Ich schloss ihre Augen und rannte hinaus.
Ich konnte nicht verstehen, warum der Herr es zugelassen hat, dass ich zusah, wie ein Mensch stirbt, und erst viele Jahre später verstand ich es.
Wahrlich, das Leben eines Menschen ist "Dampf, der für eine kurze Zeit da ist, und dann verschwindet". Nach diesem Todesfall versuchte ich abends, irgendwo etwas zu trinken, damit ich ohne Angst einschlafen konnte.
Noch vor Beendigung des 3. Lehrjahrs beging ich ein Verbrechen. Die Sünde hatte mich mehr und mehr in die Verirrung gezogen. Und so wurde ich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

1989, als das Predigen des Evangeliums frei erlaubt wurde, kamen Christen zu uns ins Gefängnis und uns Gefangene trieb man alle in die Aula. Der Oberaufseher erklärte uns, dass, wer nicht in die Aula gehen würde, in eine Einzelzelle gebracht würde. Wie groß ist die Gnade Gottes zu verlorenen Sündern, von denen ich der größte bin, wie der Apostel Paulus sagt. Jetzt, nachdem ich den Herrn erkannt habe, erkenne ich Gottes deutliches Wunder und seine unendliche Gnade darin, dass es erlaubt wurde, das Evangelium zu verkündigen. Noch vor anderthalb Jahren hat man Christen, die an Gott erinnerten, in Einzelzellen gebracht - jetzt drohte die Einzelhaft jenen Insassen, die es ablehnten, Gottes Wort zu hören!

In der Aula erzählten die Christen von Gott, verteilten Neue Testamente und christliche Literatur. Als dazu aufgerufen wurde, das Bekehrungsgebet zu sprechen, wollte ich sehr gerne nach vorne kommen, aber als ich sah, dass niemand aufstand, blieb ich auch sitzen. Die Seele sehnte sich nach Gott, aber der Feind der menschlichen Seele, der Satan, sandte Gedanken wie "Wenn du jetzt vorgehst, dann bleibst du trotzdem weiterhin ein Gefangener, aber einer, von dem sich alle abwenden, und man dich ganz im Gefängnis ganz weit von den anderen isolieren. Und in der Freiheit werden sich ebenso alle Freunde von dir abwenden." So bin ich nicht aufgestanden und als ich wieder zurück in der Baracke war, konnte ich keine Ruhe finden. Ein Stein lag auf meiner Seele und das Herz schrie: "Ich will zu Christus!". Wie doch der Satan das menschliche Herz mit Lügen fernhält, um es nicht an den Retter heranzulassen.

So trug ich diese Gedanken und diese Unruhe eine Woche mit mir herum. Wenn ich abends herausging und zu einer für mich so unerreichbaren himmlischen Höhe hinaufsah, wo Myriaden von leuchtenden Sternen schienen, dann dachte ich: "Dort ist Gott, wie gut wäre es, mit ihm zu leben.“ Bald schrieb ich meiner Freundin einen Brief, in dem ich erzählte, dass zu uns ins Gefängnis Christen kamen und dass sie überhaupt nicht so waren wie wir und dass ich gerne auch solch ein Leben leben würde. Im diesem Brief schrieb ich auch, dass, wenn die Christen noch einmal zu uns kommen würden, ich mich unbedingt melde wollte um das Übergabegebet der Bekehrung zu sprechen. Ich wolle dieses dreckige Leben nicht mehr leben.

Aber die Christen kamen bis zu meiner Entlassung nicht mehr zu uns ins Gefängnis und das Lagerleben nahm mich weiter in Beschlag. Dann kam ein Brief aus der Freiheit und mir wurde mitgeteilt, dass meine Mutter an einem Tumor gestorben ist. (Ich konnte meine Mutter mehrmals sehen, nachdem mein Vater uns von ihr weggeholt hatte.) 1990 wurde ich unter Aufsicht entlassen und ich nahm wieder meine Arbeit als Bergbauer im Schacht auf. Nachdem ich von dem strengen Regime befreit wurde vergingen elf Monate, als Gott mich wieder daran erinnerte, dass es ein anderes Leben und einen anderen Weg gibt. Einmal fuhr ich zur Arbeit, zur Spätschicht, und stand wie üblich in dem Trolleybus hinten am Fenster. Plötzlich erklang neben mir Gesang und Gitarrenmusik. Ich drehte mich um und sah eine Gruppe Jugendlicher, die von Gott sangen.

Ich verstand, dass das Christen waren. Neben ihnen, auf der hintersten Bank sah ich eine Frau mit Kopftuch (Anmerkung der Übersetzerin: Daran erkannte man früher in Russland verheiratete Christinnen). Bei ihr waren zwei Mädchen, eins ungefähr 11 Jahre und das andere um die 12 Jahre. Ich dachte für mich, dass das eine Mutter mit ihren Töchtern sein müsse, da beide Mädchen ihr sehr ähnlich sahen. Das jüngere Mädchen sah mich an und flüsterte ihrer Mutter etwas zu. Die Mutter erhob sich, kam an mich herüber und fragte: "Junger Mann, hätten sie etwas dagegen, wenn meine Tochter ihnen ein Büchlein schenkt?" "Bitte schön, ich freue mich sehr darüber", antwortete ich. Die Frau nickte ihrer Tochter zu, die aufstand, zu mir kam und mir ein Büchlein entgegen streckte: "Nehmen sie das bitte!"

Ich nahm das Büchlein an, lächelte und bedankte mich bei dem Mädchen. Es setzte sich wieder an ihren Platz, und ihre Mama fing an, mir zu erzählen, dass sie gläubig sind, dass sie jetzt ins Krankenhaus fahren würden. Sie wollten den Kranken christliche Literatur und Medikamente bringen. Dann lud sie mich zur Versammlung ein und nannte mir die Adresse des Gebetshauses. Ich antwortete, dass ich versuchen wollte zu kommen, sobald ich die Zeit dazu finden würde.

Die Frau kehrte zu ihren Mädchen zurück und ich sah das Büchlein durch, las ein paar Zeilen darin und legte es dann in meine Tasche. Dann sah ich das Mädchen, das mir so ein Geschenk gemacht hatte, an. Sie lächelte und neigte den Kopf. Und ich stand da und schaute abwechselnd mal auf die Jugendgruppe, mal auf das Mädchen. Dann hob sie wieder den Kopf, sah mich an... und plötzlich war ich völlig verwirrt! Von ihren Augen tropfte eine Träne nach der anderen, glasklare Tränen. - Mein Herz schlug schneller und mir schien, als würde sich mir die Brust umdrehen. Ich verstand, dass das Mädchen um mich weinte, aber warum sie weinte, das verstand ich nicht. Doch war ich mir ganz sicher, dass sie jetzt um mich weinte.

"Meine Liebe – überlegte ich - warum weinst denn du um mich? Wenn Du nur wüsstest, wer ich bin, was für ein hässlicher Mensch ich bin!" Das Bild eines um mich weinenden Mädchens prägte sich für immer in meinem Herzen ein. Erst Jahre später, nachdem ich den Herrn erkannt hatte und mich an jenes Mädchen erinnerte, verstand ich, dass diese kindlichen Tränen vermutlich darüber vergossen wurden, dass ich kein Interesse zeigte für die rettende Botschaft. Kurz vor der vorletzten Haltestelle ging die Frau mit den Mädchen zum Ausgang und lud mich noch einmal ein, ins Gebetshaus zu kommen. Auch die Mädchen sagten: "Kommen Sie!"

Wir verabschiedeten uns und ich sagte, dass ich versuchen wolle, am Wochenende zu kommen. Als das Wochenende kam, stand ich gut gelaunt auf, denn ich würde jetzt ins Gebetshaus gehen! Frisch rasiert und gewaschen zog ich mich mit aufgeregtem Herzen an und ging zur genannten Adresse. Endlich würde ich in der Versammlung der Gläubigen sein und mich zu Gott wenden mit dem Bekehrungsgebet! So ging ich die Straße entlang, vor lauter Freude wollte ich laut singen, so viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Da vorne war schon das Ende der Straße zu sehen, dort würde ich in den Trolleybus einsteigen und schon zwei Haltestellen später würde ich im Gebetshaus sein!

Gut gedacht! Plötzlich kommen zwei meiner Freunde um die Ecke - Eugen und Sergej. Sie kommen näher und fragen: „Warum hast Du Dich denn so schick gemacht?“ „Ich gehe zu Gläubigen ins Gebetshaus“, antwortete ich. „Und wo befindet sich dieses?“, interessierten sie sich. Ich erklärte es ihnen. Eugen sagte: „Ich will auch mit Dir ins Gebetshaus mitkommen, aber heute bin ich nicht vorbereitet. Lass uns ein anderes Mal zusammen hingehen und jetzt komm mit uns mit, lass und ein wenig zusammen sitzen und einen auf das Wiedersehen trinken, wir haben schon alles vorbereitet.“

Wie einem Freund absagen? Nach kurzem Wanken sagte ich zu, beruhigte mein Herz damit, dass Eugen ja auch mit mir zur Versammlung gehen wollte und wir nächstes Wochenende zusammen gehen würden. Aber so ein freudiges Erlebnis kam für uns leider nicht mehr.

Damals wusste ich noch nicht, dass der Satan "umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht wen er verschlingen kann". Erst viel später, nach dem ich den Herrn und Sein Wort erkannt hatte, verstand ich, dass der Teufel alles getan hatte, damit ein Mensch nicht in die Versammlung der Gläubigen und nicht auf den gerechten Weg kommt. Er sendet dir großzügige Freunde, öffnet dir den Weg in eine angenehme Gesellschaft und stellt dir einige andere Fangnetze auf deinen Weg.
Und Christus rief so sanft, aber ich war noch nicht fähig seinen Ruf zu hören, den Weg zu sehen, den ich in meinem Leben ging, der mich immer näher an die Pforte des Todes brachte. Wir riefen noch einen weiteren Freund dazu und gingen ins Haus unseres gemeinsamen Bekannten, wo wir uns oft versammelten um Zeit zu vergeuden und Karten zu spielen. Beim Trinken von alkoholischen Getränken entwickelte sich ein Streit, bei dem am Ende zwei unserer Freunde umkamen.
Wir beschlossen in dem Zimmer Benzin auszugießen und ein Feuer zu machen, um die Spuren des Verbrechens zu vertuschen, aber wir hatten den Elektroherd nicht beachtet. Von der plötzlichen Explosion sind wir selbst wie Fackeln in Brand geraten und erlitten schwere Verbrennungen.

Eugen hatte 35 Prozent Verbrennungen und starb im Krankenhaus, der zweite Freund, Sergej, 50 Prozent und ich – 70 Prozent. Und nur dank der großen Gnade Gottes blieb ich am Leben. Ein ganzes Jahr kämpfte mein Körper mit dem Tod. Und nach der Entlassung folgte die Gerichtsverhandlung, wo mich das Donezker Landesgericht zur Todesstrafe verurteilte, Tod durch Erschießen.

Als der Konvoi mich nach der Gerichtsverhandlung ins Gefängnis brachte und man mich in den Keller führte, wo sich die Todeskandidaten befanden, zogen sie mir gestreifte Kleidung an. Sie nahmen mir alle persönlichen Gegenstände ab, unter welchen sich auch ein Neues Testament befand. Das hatte ich früher einmal von einem Bekannten geschenkt bekommen. Nun brauchte ich gar nichts mehr, aber mein Herz schlug auf einmal sehr stark und mir kam so ein Gedanke wie: "Nimm ihnen das Neue Testament ab und lies es, denn nur der Herr alleine kann Dich noch retten!" Dann fing ich an, um das Neue Testament zu betteln und sie antworteten mir, dass das nicht vorgesehen wäre. Dann sagte ich, dass sie den diensthabenden Vorgesetzten holen sollten. Dieser kam und als er erfuhr, aus welchem Grund ich nicht in die Zelle gehen wollte, befahl er: "Gebt ihm das Neue Testament, das hilft ihm jetzt sowieso nicht mehr", worauf ich antwortete: "Wir werden sehen, die Zeit wird es zeigen".

Als ich nun in der Zelle der Todeskandidaten war, fing ich an, das Neue Testament zu lesen und über das Gelesene nachzudenken. Und je mehr ich las, desto mehr verstand ich, dass ich nicht richtig lebte und dass ich ein schrecklicher Sünder bin. Ich fing an, mir die Frage zu stellen, warum ich mich hier in der Todeszelle befinde. Ich verstand, dass meine Mutter mich nicht dazu geboren hatte, damit ein mein Leben in Gefängnissen und Lagern verbringe .Und dass ich mit nur 29 Jahren in die Todeszelle kam, wo man mich erschießen würde, wie irgend ein Tier. Ich wollte leben, aber ich verstand, dass mich jetzt niemand mehr retten würde. Wenn einer der Todeskandidaten sich noch damit trösten konnte, dass er zum ersten Mal ins Gefängnis kam und er noch begnadigt werden könnte, dann existierte diese Möglichkeit nicht mehr für mich. Weil ich gut verstand, dass ich schon mehrmals verurteilt worden war und dass meine durch das Oberste Gericht der Ukraine bestätigte Todesstrafe unabwendbar war und ein Begnadigungsersuchen an den Präsidenten zu schreiben lehnte ich ab. Mich konnte keiner mehr retten, aber in meinem Herzen war ein Glaube, dass mich nur noch der Heiland retten konnte! Dann beugte ich meine Knie und rief zu Gott. In meinem Gebet bat ich den Herrn, mir, dem Sünder, all meine Sünden und Verbrechen, die ich begangen hatte, zu vergeben. In meinem Gebet versprach ich dem Herrn, dass wenn Er mich retten würde, ich ihm dienen würde alle Tage meines Lebens und allen Menschen von seiner großen Liebe zu mir und allen Menschen erzählen wollte. Und der Herr hörte mich und mein ehrliches Gebet und rettete mich von dem sicheren Tod. Ihm sei Lob und Ehre in alle Ewigkeit. Amen.

Während meines Verbleibs in der Todeszelle wurden 68 Menschen erschossen. Ich konnte sehen, wie sie aus der Zelle zum Erschießen abgeholt wurden. Niemand kehrte je zurück. Ich konnte sehen, wie gesunde Menschen wenige Stunden vor der Erschießung sich auf ihrem Bett zu einem Knäuel zusammenkauerten, wie sie vor Angst zitterten, sie spürten bereits den Tod und sie wurden tatsächlich nach 3-4 Stunden zur Erschießung abgeholt. Manche verloren den Verstand. Alle hatten Angst vor dem Tod, außer einem, das war Alexander Tritinnikow, welchen ich noch aus der Freiheit kannte.
Als er zu mir in die Todeszelle kam, fragte ich ihn: "Glaubst du an Gott?". Und er antwortete, dass er nicht glaube. Weder an Gott noch an Satan. Aber dann, nach einiger Zeit fing an, das Neue Testament zu lesen und bekehrte sich. An einem der Tage, als wir zusammen saßen und uns unterhielten, sagte er mir ruhig und ohne jegliche Aufregung, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, dass er heute Abend erschossen würde. Ich fragte ihn, woher er diese Information hätte und er sagte mir, dass er das wüsste. Er gab mir einen Brief, den er am Morgen an seine Geschädigten geschrieben hatte, die er im Brief um Vergebung bat. Der Brief war offen und er bat mich, diesen zu lesen und die Uhrzeit hineinzuschreiben, wann man ihn zum Erschießen abholen würde und erst dann diesen Brief abzusenden. Um 5 Uhr abends, die übliche Zeit für den Abendrundgang, legte man uns beiden Handschellen an und führte uns aus der Zelle in den Korridor hinaus. Dort umringten uns drei Personen, nahmen Sascha und führten ihn weiter den Gang entlang, aber er blieb stehen, drehte sich zu mir um, verabschiedete sich und sagte "Also, mach´s gut! Wünsche Dir alles Gute!" Mehr ließen sie ihn nicht sagen und führten ihn schnell ab. Ich sah, dass auf dem Gesicht von Sascha nicht das kleinste Anzeichen von Erschrockenheit war, er ging zur Erschießung ohne jegliche Angst. Er war der Einzige, der sich verabschiedete. Alle anderen Menschen, die zur Erschießung abgeführt wurden, kein Einziger von ihnen konnte auch nur ein Wort hervorbringen, weil es ihnen nicht nach Verabschiedung war, die Angst vor dem Tod ließ alle Menschen erstarren.

Etwas später passierte so ein Vorfall. Vielleicht aber war es auch absichtlich gemacht, das weiß ich nicht, aber mich verwechselte man mit einem Mitinsassen und führte mich ab zum Erschießen. Aber später verstanden sie, dass sie den falschen mitgenommen hatten und brachten mich zurück in die Zelle. Da verstand ich erst, warum Sascha ohne jegliche Angst zur Erschießung ging, weil - weil Gott mir ihm war! Und wo Gott ist, da ist Freiheit, mit ihm ist nichts schrecklich, weil Er tröstet und stärkt und die Kraft schenkt, alles durchzustehen. Es ist nur der Gnade des Herrn zu verdanken, dass ich nicht den Verstand verloren habe. Und erst später verstand ich, dass der Herr für mich unvergleichlich mehr getan hat. Und nicht nur für mich, sondern für alle Menschen ohne Ausnahme. Er vergoss sein heiliges Blut am Kreuz von Golgatha, um Sünder zu retten und ewiges Leben zu schenken! Heute bin ich der glücklichste Mensch, weil ich meinen wunderbaren Retter Jesus Christus verherrlichen kann, der mich gerettet hat und mir Leben geschenkt hat im Überfluss, welches ich habe in diesen Wänden. Aus welchen es mir möglicherweise nicht bestimmt ist, herauszukommen. Aber meine Seele ist frei und freut sich im Herrn. Seit 16 Jahren befinde ich mich nun in diesen Wänden für mein Vergehen und bereue nur eines, nämlich dass ich so spät zu Gott gekommen bin.

Ich kann es nicht verschweigen, dass zwischen 1994 und 1996 im Gefängnis 68 Menschen, die zu Höchststrafe verurteilt waren, erschossen wurden. Und nur Sergej und mich bewahrte der Herr vor dem Tod! Das ist Gottes großes Wunder und Gnade, ein lebendiges Zeugnis für alle Gefangenen und die Mitarbeiter in der Verwaltung des Gefängnisses. Da alle wissen, dass die Strafe nach der Verurteilung für die Insassen der Todeszelle normalerweise innerhalb von 8-10 Monaten vollzogen wird. Und erst im Jahr 2000 wurde die Todesstrafe für alle Verurteilten zur Erschießung in lebenslange Haft umgewandelt. Jetzt verstehe ich, dass ich all die Jahre dennoch geistlich blind war. Ich las das Neue Testament, ich betete, bezeugte vor anderen, dass es einen lebendigen und wahrhaftigen Gott gibt, aber mein Glaube war noch tot. Und der Herr ertrug es und wartete, wann ich ihm mein Herz völlig öffnen würde, damit er dort einzieht und ich sagen kann: "Und nun lebe ich, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal. 2,20). Ich bekehrte mich zu Christus von ganzem Herzen im Jahr 1998. Als ich in der Todeszelle mit einem Menschen namens Igor war, welcher sich auch dort bekehrte, studierten wir zusammen das Neue Testament und beteten. Die Schwester von Igor, welcher wir durch Briefe Gott bezeugten, kam auch bald zum Glauben, danach auch ihr Ehemann. Sie wurden Mitglieder der Baptisten Gemeinde. Durch sie erfuhren wir von dieser Bruderschaft. Sie übergaben uns Zeitschriften (Bote der Wahrheit). Wir erstarkten im Glauben durch sie. Dann gaben sie uns die Adresse ihrer Gemeinde. Wir fingen an, uns mit diesen Geschwistern zu schreiben und bald darauf schenkte uns der Herr ein Treffen mit unseren teuren Brüdern und Dienern der örtlichen Gemeinde. Wir halten auch heute noch Kontakt. Aus Gottes Gnade sind wir nun 8 Brüder, die fest die Glaubenslehre der Baptisten teilen. Wir beten für die gesamte Bruderschaft, dass der Herr sie bewahrt. In dieser listigen Zeit genauso, wie auch in den Jahren der feurigen Verfolgung. Früher saßen wir zu zweit in einer Zelle und jetzt schenkt uns der Herr aus Gnade Arbeit in einer großen Fabrik. Wir werden von den Diensthabenden (Aufsehern) wohlwollend behandelt, sie führen uns alle gemeinsam in das Gebetszimmer, wo wir die Möglichkeit haben eine Gebetsversammlung abzuhalten, das Wort Gottes zu lesen und christliche Kassetten zu hören. Kürzlich schlossen sich uns noch zwei weitere Personen an, die ebenfalls die Lehre der Bruderschaft mit uns teilen und sie sind unsere Brüder geworden. Wir geben allen Zeugnis vom Herrn, geben ihnen das Evangelium und die Zeitschriften der Bruderschaft. Wir danken dem Herrn, dass er auch hinter den düsteren Gefängnismauern Erweckung schenkt. Er gab uns die Gnade, hier seine Zeugen zu sein, den Gebetsdienst für unsere wertvolle Bruderschaft und alle Nöte des Volkes Gottes, von welchen wir aus den Zeitschriften und Kassetten erfahren, zu tragen. Ich weiß nicht, was morgen sein wird, aber ich glaube fest, "dass eine kleine, ganz kleine Weile, dann wird der kommen, der kommen soll, und wird nicht auf sich warten lassen" (Hebr. 10,37), weil es uns so die Bibel sagt, das Wort Gottes.

Zum Schluss meines Zeugnisses möchte ich noch gerne aus ganzem Herzen jedem Menschen, der den Herrn noch nicht erkannt hat, sagen: "Mein teurer Freund! Wir leben in der letzten Zeit, vor dem zweiten Kommen des Christus, und Gott aber gebietet allen Menschen überall, Buße zu tun, weil Er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird" (Apostelgeschichte 17, 30-31). Denk über Deine Seele nach, wo wirst Du die Ewigkeit verbringen. Es gibt nur zwei Orte - den Himmel oder die Hölle. Großes Leid wird es für die geben, die es nicht schaffen, umzukehren. Ein schreckliches Los erwartet sie. Vielleicht klopft der Herr auch an dein Herz, vielleicht zeigt Er auch dir, wie einst mir, einen anderen, viel großartigeren Weg und ein anderes, glückliches Leben mit Christus. Mache nicht den gleichen Fehler wie ich, indem du zögerst. Wende dich zum Retter mit Umkehr! „Denn es ist keiner gerecht, auch nicht einer.“ Römer 3,10. Stelle dich auf den Weg Gottes, ich bitte dich, so lange es nicht zu spät ist, so lange noch Zeit ist "rette Deine Seele" 1. Mose 19,17. "Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du gerettet werden!" Apostelgeschichte 16,31.

Shitomir, im Jahr 2008
übersetzt von L. Mittelstädt,
überarbeitet von A. Dietz
Stand 23.05.2020

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Lebensbericht von Volodja aus Shitomir

„Blicket hin auf den Felsen, aus dem ihr gehauen, und auf die Höhlung der Grube, aus welcher ihr gegraben seid.“ Jesaja 51,1

Geboren wurde ich 1971 in der Stadt Donezk, in einer ganz normalen Familie. Ich hatte einen Bruder, der anderthalb Jahre älter war als ich, wir wuchsen zusammen auf.

Wir wohnten ein einem Hochhaus, der Komplex bestand aus zwei 9-stöckigen Hochhäusern mit fünf Eingängen und einem Hof. Wir hatten da sehr viele Freunde und so hatten wir eine gute Gemeinschaft untereinander und viel Abwechslung und erlebten eine sorglose Kindheit.

Im Winter besuchten wir uns gegenseitig in den Wohnungen oder wir gingen Schlittschuh laufen oder fuhren mit dem Schlitten die Schneehügel hinunter. Im Sommer gingen wir oft an das Donezker Meer, welches nur 2 km von unserer Wohnung entfernt war. Der Weg zum Meer verlief durch einen privaten Sektor, zuerst durch ein Waldstück und dann, hinter Bäumen versteckt, an einem Friedhof vorbei. Beim Vorbeigehen an diesem Friedhof haben wir uns immer gegenseitig erschreckt und über das Leben philosophiert. Direkt an der Straße, zwischen den Bäumen, stand ein einfacher Grabstein aus einem schwarzen Granit, auf dem eine Inschrift eingraviert war. Jedes Mal hielten wir an und lasen diese. An diesen Vierzeiler erinnere ich mich, als wäre es heute: „Halte an, Passant, gedenke meiner Asche, ich bin schon zu Hause, aber du bist immer noch zu Gast“. Dann liefen wir weiter und überlegten uns, was das alles zu bedeuten hatte. Jetzt verstehe ich, dass dort wahrscheinlich ein gläubiger Mensch begraben wurde.

Der Rückweg vom Meer verlief durch einen anderen privaten Sektor mit vielen Gassen und Häusern. Auf einem Grundstück stand ein Haus, wo an der Tür ein Schild mit der Inschrift „Adventisten des siebten Tages“ hing. Beim Vorbeigehen an diesem Haus rätselten wir immer, wer das wohl sei, die Adventisten, und was das für ein siebter Tag sei und wann er beginnen würde. Aber es gab keine Antworten, denn wir haben da nie jemanden hinein oder heraus gehen sehen. In meinem Stadtteil kannte ich mich gut aus, aber ich habe nie auch irgendetwas über gläubige Christen gehört. Mama hat mir und meinem Bruder manchmal etwas über Gott erzählt. Sie selbst hat etwas darüber in ihrer Kindheit von der Oma gehört und erzählte uns ein bisschen darüber. Ich weiß noch, wie sie erzählt hat, dass in den alten Zeiten ein Mensch als ein Pilger über die Erde gewandelt ist. Er ging zu den Menschen ins Haus hinein und hat sich mit ihnen unterhalten, das war Gott. Mich hat diese Geschichte verwundert. Auch hat Mama gesagt: „Wenn man dich auf die rechte Backe schlägt, dann halte auch die linke hin“. Aber wir verstanden es nicht. Von Mama habe ich das Gebet „Vaterunser“ gelernt und habe es oft vor dem Schlafengehen aufgesagt. Ich wusste, dass Gott hört und handelt. Der nächtliche Sternenhimmel faszinierte und lockte mich immer. Stundenlang sah ich auf die Sterne und spürte Gottes Allmacht und seine Größe im nächtlichen, geheimnisvollen Weltall. So vergingen die Kindheit und die Schuljahre. Und das Leben nahm seinen Lauf. Nachdem ich zwei Jahre in Leningrad (heute St. Petersburg AdÜ) bei der Bundeswehr („Armee“) war, kam ich zurück nach Hause und habe angefangen als Fahrer von Oberleitungsbussen zu arbeiten. Diese Arbeit erfordert Verantwortungsbewusstsein und Aufmerksamkeit – es ist eine Millionenstadt, der Bus war immer „knallvoll“, die Türen am Brechen, die Menschen angespannt und gereizt. Und trotzdem gefiel mir diese Arbeit: Ich war immer in der Stadt, immer in Bewegung, hatte viele Bekannte und viele Kontakte. Einmal im Sommer kam an der Endstation ein älterer Mann mit einem Aktenkoffer auf mich zu und bat mich: „Darf ich in ihrem Fahrerhaus von einer Endstation bis zur anderen Endstation mitfahren und über das Mikrofon Gottes Wort zu den Menschen sprechen? “ Ich überlegte. Im Prinzip war es eine gute Sache und für mich etwas Neues, aber es ist laut Vorschrift verboten, jemanden ins Fahrerhaus herein zu lassen. Man wird bestraft, denn die Tür muss sogar verschlossen sein. Und er fügte hinzu: „Ich war vor Ihnen bereits bei fünf anderen Fahrern, aber sie haben mir alle abgesagt. Vielleicht werden Sie es mir erlauben und ich werde Sie dafür zahlen!“ Eine gute Sache erbittet dieser Mann von mir, dachte ich - und er will auch noch bezahlen. Da habe ich zugestimmt. Ich antwortete ihm: „Im Fahrerhaus mitzufahren ist verboten, aber ich öffne die Tür, dann können Sie zur Hälfte hereinkommen, das Mikrofon nehmen und sagen, was Sie sagen wollen“. Und so sind wir gefahren, ich habe vor mich hin gelenkt und er verteilte seine Literatur bei mir am Fenster und den ganzen Weg las und erzählte er den Menschen über Gott. Und der ganze Omnibus war prallvoll mit Menschen gefüllt. Manchmal hat man ihn direkt zu mir ins Fahrerhaus gedrängt, aber er hat sein Werk getan und war bis zur Endstation fertig. An der Endstation musste ich warten, bis alle Leute ausgestiegen waren. Da sah ich, wie mein Bekannter ging und sich mit geneigtem Kopf auf eine Bank setzte. Ich habe mich etwas verwundert, aber dann verstand ich, dass er wahrscheinlich dafür betete, dass seine Mühe nicht vergebens war. Ich war schon knapp mit der Zeit, ich musste dringend weiterfahren, da kam er, bedankte sich bei mir, bezahlte und ging heraus. Nachdem ich ein paar Haltestellen gefahren war, ging ich, ohne viel nachzudenken, in ein Kiosk und kaufte mir für sein Geld die teuersten Zigaretten. Wenn ich mich heute an diesen Vorfall erinnere, dann habe ich immer Gewissensbisse, weil ich mich damals so verhalten habe. So hätte ich auch weitergearbeitet, aber mit der Zeit bekamen wir immer seltener das Gehalt ausbezahlt und ich musste kündigen. Auf der Suche nach Arbeit wurde ich, wie auch viele meiner Freunde, in die Kriminalität hineingezogen. Es begann ein anderes, unruhiges Leben. Je länger es dauerte, desto schlimmer wurde alles. Einmal kam es im Hof eines Privathauses zu einem Konflikt zwischen mir und einem Mann. In einem Anfall von Wut kam es zu einer Schlägerei, er war stärker als ich und so warf er mich um und schlug weiter auf mich ein. Ich konnte nur versuchen, mich vor seinen Schlägen zu bedecken. Aber da entdeckte ich einen Schraubenzieher und schlug ihn damit. Für ihn hatte es einen tödlichen Ausgang. Ich verstand, dass mir deshalb eine Gefängnisstrafe drohte und dass diese nicht mehr abzuwenden war. Nur die Dunkelheit der Nacht verbarg diese Tat eine Zeit lang. Nun befand ich mich außerhalb des Gesetzes, lebte nur noch von einem Tag auf den anderen und meine Schuld wurde nur noch größer und größer. Dem nächtlichen Raub eines Geschäftes, den man mir angeboten hatte, folgten andere Diebstähle und Raubüberfälle, die mit schwerwiegenderen Taten endeten. In den 90ern verdienten manche das Geld auf illegale Weise und so wähle auch ich diesen Weg. Ich fing an mit Freunden zu stehlen und wir lebten nach den Gesetzen der kriminellen Verbrecher-Welt. Es bildete sich eine Bande und ich war deren Organisator. In einer dieser Auseinandersetzungen kam auch ein Mensch ums Leben. Aber keiner wusste etwas davon und so lebte ich mein Leben weiter. Wir begangen schwere Verbrechen. So konnte es nicht weitergehen. Ich wollte ein anderes, ein neues Leben. So verging ein halbes Jahr und schlussendlich zerstritten wir uns mit den Komplizen und mussten uns trennen. Wir gingen in verschiedene Richtungen auseinander. Ich blieb bei den Eltern wohnen. Ich machte Pläne für die Zukunft und wollte das übrig gebliebene Geld dazu verwenden um irgendein eigenes Geschäft aufzubauen. Ich wollte das Vergangene vergessen und das Leben mit „einem sauberen Blatt“ beginnen. Aber meine Vergangenheit wollte mich nicht vergessen. Ich hatte viel gesät, jetzt kam die Zeit der Ernte. Eines Abends im April, es war schon dunkel, ging im Haus plötzlich das Licht aus und sofort klopfte jemand hartnäckig in die Wohnungstür. Ich beeilte mich nicht auf zu machen. Und sofort wurde mit schrecklicher Gewalt die Türe eingetreten. Schnell stützte ich mich, die Schläge abfangend, mit dem Rücken an der Tür und mit den Beinen in der Ecke der Wand ab. Aber mit brutaler Gewalt wurde plötzlich die Tür zusammen mit dem Rahmen herausgehoben und ich wurde auf den Boden geworfen. Ich konnte es nicht mehr schaffen hoch zu kommen, denn mehrere Menschen drückten mich fest auf den Boden. Ich konnte auch nichts mehr sehen, ich hörte um mich herum nur schnelle Schritte und ein paar Schüsse. Ich wurde gefesselt, ins Auto gesetzt und wir fuhren schnell zur Verwaltung des OBOP (= Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität). Draußen war es schon Nacht.

Ich verstand, dass ich, wenn nicht heute, dann morgen sterben würde, deshalb habe ich mich selbst schon zum Tode verurteilt. So war es einfacher. Ich müsste nur noch das Verhör und die Folterung überstehen. Zwei Tage und zwei Nächte wurde ich in diesem Gebäude festgehalten, fast ununterbrochen wurde ich „gepresst“. Auf den Hunger, den Durst und die gebrochenen Rippen achtete ich nicht mehr, aber der Mangel an Schlaf hat meine Psyche gebrochen. Ich wusste nicht mehr, wer ich war und was um mich herum passierte. Wie eine Schaufensterpuppe wurde ich von einem Büro ins nächste geschleift und ich musste überall etwas unterschreiben.

Endlich war alles vorbei und man fuhr mich in die Untersuchungshaft. Rechts und links neben mir meine Folterer. Einer sagte mir plötzlich: „Weißt du was, deinen Vater gibt es nicht mehr. Damals in der Wohnung ist er auf das Gepolter hin aus dem Schlafzimmer herausgekommen und wurde von Kugeln getroffen“. Ich gab keine Antwort und schwieg, aber ich wurde sehr traurig, denn mein Vater wusste von nichts von meinen Verbrechen und wollte nur sein bescheidenes Leben leben.

Endlich kamen wir in der Zelle der Untersuchungshaft an. Man durchsuchte mich und warf mich in ein schwarzes Zimmer. Es gibt dort so gut wie kein Licht, es ist dunkel, kalt und feucht. In der Mitte stehen nackte Eisenpritschen und auf dem Holzboden schlafen zusammengekauert liegende Menschen. Hier kann man nicht länger als 10 Tage bleiben, aber es reicht aus, um sein Leben neu zu überdenken. Jeden Morgen wachten wir im Dunkeln auf. Man schaudert und erkennt, dass es kein Traum, sondern Realität ist. Ständig wird man beseelt von einem einzigen Wunsch – wenn man mich jetzt herauslassen würde, dann würde ich mich nie mehr im Leben irgendwo hinein ziehen lassen und würde einfach glücklich sein und mich des Lebens freuen. Aber all das sind Illusionen. Nach zehn Tagen wurde die Tür für mich geöffnet, aber nur, um durch eine andere an einen anderen Ort gebracht zu werden.

Im Frühling 1996 schlossen sich die Gefängnistüren der Donezker Untersuchungshaftanstalt hinter mir. Es war sehr kühl und feucht, der Regen tropfte; das laute Klirren der Eisentore und das Hundegebell drückte auf meinen schon sehr niedergeschlagenen Zustand. Ich verstand, dass das Leben für mich hiermit vorbei war. Man führte mich in das Gebäude hinein, erledigte die Formalitäten und führte mich die langen Flure mit zahlreichen Türen entlang. Endlich gehen wir zum Posten hinein, man öffnet die Türen und man schließt mich in der Zelle ein. Sie ist nicht groß, ungefähr 3 auf 4 Meter. Hier sind vier Pritschen und sechs Menschen, ich bin der siebte. Wir fangen mit dem Kennenlernen an. Es wird gefragt: Wer bist du? Woher kommst du? und: Wofür sitzt du? Ich erzähle, sie alle verwundern sich, aber mir ist es eigentlich nicht nach Erzählen zumute.

So langsam komme ich zu mir und verbinde meine Wunden. Nach einer Woche öffnet sich plötzlich die „Futtertrog“-Klappe in der Tür, man nennt meinen Namen, reicht mir die Erklärung zum Unterschreiben herein und sagt: „Annehmen!“ Man fängt an, die Lebensmittel herein zu geben. Ich nehme diese entgegen und lege sie gleich an der Tür ab – es werden immer mehr und mehr… Am Ende sagt man mir: „Fertig, jetzt unterschreiben!“ Ich unterschreibe und sehe auf der Erklärung, dass es von meiner Mutter kommt. Ich gebe die Erklärung ab und sie gehen weg. Ich stehe da und schaue auf die Lebensmittel. Ganz viele sind es, ein ganzer Berg, eine Pyramide. Und alles ist lecker, saftig und frisch - aber mir ist nicht nach Essen zumute. In Gedanken gehe ich nach Hause und verstehe - meine Mutter hat erst den Vater beerdigt, hat sich Geld geliehen, die Rente hinzugefügt, hat die Lebensmittel gekauft, hat sie hierher gefahren und alles abgegeben. Ich kriege einen Kloß im Hals und die Tränen kommen.

Die Ermittlung dauerte 1,5 Jahre. In Erwartung der Gerichtsverhandlung lebte ich in einer Gemeinschaftszelle, vollgestopft mit Menschen, wie mein O-Bus. Besonders schwer war es im Sommer. Unerträgliche Hitze und Schwüle, aus dem Wasserhahn kommt kein Wasser – nur manchmal in der Nacht ein ganz dünner Strahl. Es vermehren sich Infektionen, die Menschen erkranken und auch ich habe mich gequält, weil ich an irgendeiner Seuche erkrankte. Zu diesem allen auch noch andere Besonderheiten eines Gefängnisses, denen ich mich dann gefügt habe und an die ich mich nach circa einem Jahr angefangen habe zu gewöhnen. Weil es keinen anderen Ausweg gab, denn man kann die Tür nicht öffnen und auch nicht an einer Haltestelle aussteigen.

Im Sommer 1997 fällte das Regionalgericht mein Urteil: „Außergewöhnliches Maß der Bestrafung“. Nach dem Gerichtsurteil überführte man mich an einen anderen Ort, wo die Menschen in Einzelzellen sitzen und bedrückt den Vollzug ihres Urteils erwarten. Dieser Posten befindet sich ganz im Inneren des Gefängnisses, im Keller und er ist verborgen vor den Augen der Menschen. Hier ist es immer still, wie auf einem Friedhof.

Man nahm mir alle meine Sachen weg, kleidete mich in einen gestreiften Anzug ein und brachte mich in die Zelle herein. Die Zelle ist klein, ungefähr 2 auf 3 Meter, das Fenster hinter dem Gitter ist mit Brettern zugeschlagen, so dass man nicht weiß, ob es jetzt Tag oder Nacht ist. Die Lampe brennt durchgehend Tag und Nacht und man wird durch den Spion beobachtet. Die Zelle ist absolut leer, nur drei Eisenpritschen, ein Tisch und zwei Eisenstühle stehen darin. In der Zelle traf ich auf einen jungen Burschen. Wir lernten uns kennen. Er erzählte mir, wie das Leben hier abläuft. Vieles verwunderte mich und ich überlegte mir, was mich wohl weiter erwartete.

Nach drei Monaten wurde ich unerwartet in eine andere Zelle überführt. Da saß ein Aserbaidschaner. Er sagte, dass er Moslem sei und er betete immer vor dem Essen. Bei ihm sah ich das Buch „Neues Testament“ und bat ihn, mir diesen zum Reinschauen zu geben. Das erste, was ich gelesen habe, war von der Witwe, die 2 Scherflein in einen Kasten einlegte. Es erstaunte mich, dass Gott unser Herz sieht und alle unsere Absichten und Gedanken kennt. Ich habe begonnen dieses Buch zu lesen und wir haben mit meinem Zellengenossen angefangen über das Gelesene zu diskutieren, besonders über die Offenbarung. Er sagte zu mir „Ohne Glauben kann man nicht leben“. Aber plötzlich wurde ich zu einem anderen Mann in die Zelle gebracht, der eine vollständige Bibel hatte und wir beschäftigten uns mit Interesse damit, lasen darin und überdachten das Gelesene. Besonders gut gefielen mir die Sprüche, aber vieles davon war mir unverständlich.

Hier auf unserem Stockwerk gab es auch in anderen Zellen welche, die sich für die Bibel interessierten. Wir fingen an, uns abends zu unterhalten, in dem wir über das Wort Gottes sprachen. Dazu mussten wir miteinander laut durch die Fenster sprechen, wofür wir sofort bestraft wurden, indem man uns in die Isolierzelle (Karzer) brachte. Aber bei uns entstand schon damals eine gemeinsame Freude und Gemeinschaft im Geiste. Einzeln in den Zellen fingen wir an zu beten, insgesamt waren wir ungefähr 10 Personen. Auf unserem Posten bekehrte sich auch ein diensthabender Aufseher. Es gab auch andere, die sich für die Wahrheit interessiert haben.

Von außen bekamen wir Literatur von verschiedenen Konfessionen. Wir beschäftigten uns damit und verglichen alles mit dem Wort und sahen, dass es viele verschiedene Betrachtungen und Abweichungen von der Bibel gibt, aber wir wollten den wahren Glauben erkennen und in ihm gefestigt werden. Im Gebet bat ich den Herrn um Stärkung im Glauben und Hilfe im allen Umständen, aber das Wort war verschlossen vor mir, vieles verstand ich nicht und dachte: „Warum habe ich nicht solchen Durst und solche Erkenntnis im Wort wie die anderen?“

Irgendwann gaben mir meine Brüder im Glauben, Igor und Dima (beide saßen zusammen in einer Zelle) eine Broschüre weiter. „Über die Heiligung“ vom Internationalen Kirchenbund der evangelikalen Christen-Baptisten. Ich las diese aufmerksam durch und war erstaunt. Nie habe ich etwas Ähnliches in den Händen gehalten. Wie viel Literatur hatte ich bereits durchgelesen, aber so etwas war ich noch nie begegnet. Es war so, als ob diese Schrift Heiligkeit verströmte. Ich verstand: Das hier ist etwas ganz Besonderes, hier braucht man Ehrerbietung und Ehrfurcht vor dem Herrn. Ich fing an zu begreifen, dass man mit Gott nur ernsthafte Beziehungen haben kann.

Zu dieser Zeit, für alle unerwartet, kam man zu unserem Posten und sagte, dass sich alle schnell fertig machen sollten zum Gefangenentransport. So etwas hatten wir noch nie erlebt, dass gleich 46 Menschen auf einmal zum Gefangenentransport bestellt wurden, denn für gewöhnlich fuhr man einzeln.

Wir fuhren im Zugwaggon ungefähr eineinhalb Tage und erst bei der Ankunft sagte man uns, dass man uns nach Schitomir gebracht hatte. Das war im Dezember 2001. Hier wurden wir alle in einem Gebäude untergebracht, aber man verteilte uns auf fünf verschiedene Etagen. Hartes Regime, Durchsuchungen, Anspannung und strenge Isolation. Keiner von den Brüdern wusste jetzt, wer wo war, wo die anderen Brüder saßen. Ganz unerwartet für mich überführte man ein halbes Jahr später Bruder Jura in meine Zelle. Ich kannte ihn gut aus Donezk. Wir beide waren sehr froh darüber und nahmen es als einen Segen vom Herrn an. So sind wir schon beinahe 13 Jahre zusammen.

Wir brachten viel geistliche Literatur mit, auch sandten uns Brüder und Schwestern aus verschiedenen Regionen viel kostbare Literatur der Bruderschaft zu. So dass wir, auch ohne einen Lehrer hier zu haben, geistlich reifen konnten und versuchten, unser Leben in Ordnung zu bringen.

Im Winter 2004 hatte ich geistliche Unruhen, ich war sehr unruhig und auf meiner Seele lastete etwas sehr schwer. Nach meiner Gewohnheit kniete ich mich hin zum Gebet, aber ich konnte dieses nicht beenden – ein Kloß bildete sich im Hals, ich stand von den Knien auf und fiel schluchzend auf die Pritsche. Lange weinte ich. Es schüttelte mich und ich konnte nicht an mich halten, es war, als ob die ganze Bürde aus meiner Seele herausfließt. Endlich habe ich mich beruhigt und wurde still. Und als ich aufstand, da fing mein Herz an sich mit Freude und Frohlocken zu füllen, Frieden und Ruhe legten sich auf die Seele. Ich dankte dem Herrn für die Vergebung und für die Reinigung meiner Seele und verstand, dass ich gerettet bin. Wie kostbar wurde mir die Bibel, nah und verständlich. Ich fing an, viele Stellen zu verstehen und mit dem Herzen anzunehmen. Was für eine wertvolle Nahrung ist sie doch für unsere gerettete Seele.

Ich danke dem Herrn, dass Er so lange Geduld mit mir hatte, dass Er mich mit Seiner Liebe zu Sich gezogen hat, dass Er mich begnadigt hat und mir vergeben hat.

Es ist mein Herzenswunsch, auch weiter im Glauben zu wachsen und allen meinen Brüdern und Nächsten zum Segen zu sein.

Shitomir, Ukraine, im Jahr 2014
übersetzt von A. Brack,
überarbeitet von A. Dietz
Stand 23.05.2020,

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Zeugnis von Vasili aus Shitomir, Ukraine

„Der Herr hat Großes an uns getan, wir sind fröhlich geworden.“ Psalm 126,3

Geboren bin ich im Winizker Gebiet, Pogrebischenskiy Bezirk, im Dorf Wischewki. Dort bin ich aufgewachsen, dort verbrachte ich meine Kindheit bis zur 8. Klasse. Dann habe ich eine Lehre als Maurer gemacht. Nach der Lehre wurde ich in die Armee eingezogen. Gedient habe ich auf dem Flughafen auf der Krim. Ich habe nicht zu Ende gedient, denn mir wurde angeboten für ein halbes Jahr auf die Militär-Schule zu gehen. Nach Beendigung dieser Schule kam ich zurück mit dem Dienstgrad eines Fähnrichs und begann zu arbeiten.

Beim Militär lernte ich ein Mädchen kennen, welches dort als Maschinistin arbeitete. Ich verliebte mich sehr in sie, und war bereit sie zu heiraten. Im Land war zu dieser Zeit eine sehr schwierige Situation, die Wirtschaft war dabei zu zerfallen. Auf der Suche nach finanziellen Mitteln sah ich keinen anderen Ausweg, als ein Verbrechen zu begehen. Dieses wurde zum Umbruch in meinem Leben. Beim Zusammentreffen mit einer Polizeikontrolle musste ich fliehen und ich entschied mich, so weit wie möglich wegzufahren, um der Verantwortung für meine Tat zu entkommen.

Ich kam bei Verwandten in der Irkutsker Gegend unter. Aber dann, als ich begriff, dass man mich auch unter den Verwandten suchen würde, sieddelte ich nach Krasnojarsk um, wo ich ebenfalls kriminelle Handlungen beging.

Ich lebte ganz alleine, in der Taiga, in einer Datscha (Gartenhaussiedlung). Manchmal fuhr ich nach Krasnojarsk, wo ich im Gefängnis versuchte, einen gefälschten Ausweis zu bekommen. Aber an einem Tag, das war der 22. April 1996, wurde ich in der Nähe eines Gefängnisses von der Polizei festgenommen. Und so fingen für mich nun andere Irrfahrten an – jetzt aber als Gefangener. Ich habe sehr viele Schwierigkeiten erlebt und durchlebte Enttäuschungen, Traurigkeit und Einsamkeit, denn einen Tröster kannte ich damals nicht.

Ungefähr nach 1,5 Jahren wurde ich aus Krasnojarsk in die Ukraine verlegt, wo ein Gerichtsverfahren über das von mir begangene Verbrechen stattfand. Es dauerte nicht lange, da ich alles zugab, alles erzählte und bei den Untersuchungen mitwirkte (kooperierte). Das Kriegsgerichtstribunal trug das Urteil vor: Tod durch Erschießen. Ich fand mich an einem schrecklichen Ort wieder – in der Todeszelle, von wo es keine Rückkehr mehr gibt. Aber ich lebte, obwohl das Leben auch sinnlos war, was jetzt kommen sollte, das würde kommen. Es gab bereits ein Moratorium auf die Todesstrafe (das war im Jahr 1998), aber im Jahr 2000 wurde die Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt. Auch damit war ich einverstanden, denn egal welches Leben war immer noch ein Leben.

Mit meinen Verwandten hatte ich keinen Kontakt. Obwohl ich mehrfach an sie Briefe schrieb, antwortete mir keiner. Ich verstand, dass ich ihnen viel Leid zugefügt hatte, besonders meiner Mama, und sie sich für mich in ihrem Dorf sehr schämte. Doch später, in Simferopol, wo ich gefangen war, kam meine leibliche Schwester mit ihrer Tochter. Das war für mich wie Donner mitten am sonnigen Himmel. Meine Freude kannte keine Grenzen. Irgendwann schrieb ich nach Hause - noch vor dem Besuch meiner Schwester – dass ich sehr gerne eine Bibel hätte. Und nun, meine Schwester brachte mir eine mit. Ich erklärte ihr unzufrieden: „Ich bat dich um eine Bibel und du, meine Schwester, bringst mir irgend so ein Neues Testament.“ Über die Heilige Schrift wusste ich damals noch überhaupt nichts.

Ich versuchte, dieses heilige Buch zu lesen, aber leider verstand ich nicht was dort geschrieben stand. Dann legte ich es zur Seite, wusste aber, dass man es lesen muss, weil es ein heiliges Buch ist. Ich glaubte an Gott, glaubte, dass er existiert. Denn von Kind an sah ich, dass meine Oma Katja betete, sah, wie innig sie glaubte. Und immer wieder bat sie mich, das Gebet „Vater Unser“ zu lernen. Aber ich hatte damals nur Flausen im Kopf – und ich war ungehorsam.

Weiter entwickelten sich die Umstände meines Lebens so, dass ich an Lungentuberkulose erkrankte und darum in der Zelle alleine blieb. Mein Mitbewohner wurde von mir weg verlegt, da diese Krankheit ansteckend ist. Nun erschrak ich, weil ich wusste, dass erst vor kurzem in der Nachbarszelle ein junger Mann an dieser Krankheit verstorben war. Ich fing an, mich nach allen Kräften zu ernähren und Medikamente einzunehmen.

Einmal bat ich in der Aufsichtszelle um einen kleinen Kalender. Dieser wurde mir gestattet. Darauf war Jesus Christus abgebildet und das Gebet „Vaterunser“. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich dieses Gebet sprach, sitzend am Tisch mit gefalteten Händen. Das war ein Rufen meiner Seele zu Gott um Erbarmen. Ich betete unter Tränen – vor lauter Verzweiflung und Sehnsucht.

Im Gefängnis hielt ich mich nicht an die Regel und verstieß oft dagegen. Der oberste Aufseher des Gefängnisses gab mir das Zeugnis, dass ich der schlimmste Strörenfried im Gefängnis sei.

An einem der Rundgänge durch die Aufseher bat ich um Verlegung an einen Ort, der näher zu meinem Wohnort war. Und sie beschlossen tatsächlich, mich von dort weg zu verlegen. In mehreren Etappen bin ich 2002 aus Simferopol (eine Stadt auf der Krim) bis zum Dnepropetrowsker Gefängnis gebracht worden, dann aus dem Gefängnis in Dnepropetrowsk nach Kiev und aus Kiev brachten sie mich nach Schitomir. Es ist so eine unbedeutende Entfernung zwischen diesen Städten, aber diese Verlegungsreise bis zum Bestimmungsort dauerte mehrere Monate.

Als ich im Gefängnis in Simferopol an Tuberkulose erkrankt war, hat man mich wieder geheilt, sie gaben mir sogar ein Papier zum Unterschreiben, dass ich gesund sei. Aber als ich im Gefängnis in Schitomir ankam, stellte man bei mir wieder Herde dieser Erkrankung fest. Ich saß in einer Isolierzelle für an Tuberkulose Erkrankte. Und solche wie ich gab es zu dieser Zeit viele. Menschen starben - ich habe es mit eigenen Augen durch Schlitze in der Tür gesehen, wie man sie hinaustrug, eingewickelt in Decken. Mich überkamen Furcht und Panik. Ich fing an, an meine Verwandte zu schreiben, fing an, bei der Gefängnisleitung um Medikamente zu betteln und um normales Essen. Von meinen Verwandten kam keine Antwort. Einmal kam meine Schwester nach Simferopol und danach schrieb und kam niemand – es gab überhaupt keine Hilfe.

In der Zelle saß ich mit einem jungen Mann aus Kiev, der an der gleichen Krankheit litt. Seine Mama kam oft zu ihm, half ihm und brachte Medikamente. Das Essen war gut und er ist genesen, aber solche verlegte man sofort in eine „gesunde“ Zelle – und ich blieb wieder alleine. Wieder versuchte ich das Wort Gottes zu lesen, aber dieses heilige Buch war für mich verschlossen.

Nach einer Weile- ungefähr nach einer Woche, nachdem man meinen früheren Zellengenossen Wadim von mir wegverlegt hatte und ich alleine blieb (und alleine in einer Kammer zu sitzen wird nur durch einen Staatsanwalt erlaubt) - wurde ich in eine andere Zelle verlegt. Ich war sehr darüber empört, sagte, dass sie mich nicht verlegen sollen, ich wolle alleine sitzen, aber dann gab ich nach, wohl wissend, dass sie mich auch mit Gewalt verlegen können.

Nach der Verlegung kam ich in diese andere Zelle und sah dort einen jungen, großgewachsenen Mann sitzen, der lächelte. Ich fragte ihn: „Warum bist du so fröhlich?“. Er antwortete: „Ich bin gläubig“ und fing an, mir den Heiland zu bezeugen. Ich bremste ihn und sagte: „Freund, nur ohne Fanatismus. Glaubst du an Gott – bitteschön, glaube. Und das werde ich auch – nach meiner Art.“

Mein Zellengenosse hieß Ruslan Chanow. Momentan befindet sich Ruslan in der Stadt Cherson, auch im Gefängnis. Er wurde im Jahr 2006 von hier weg gebracht. Dort, wo er sich befindet, ist ein Lager für schwer erkrankte an Tuberkulose. Ruslan hat lange Zeit keine medizinische Versorgung angenommen, was mit der charismatischen Lehre von Kenneth Copeland zusammenhängt. Einige Zeit habe ich auch daran geglaubt.

Ruslan schrieb uns von dort, aber in letzter Zeit gab es keine Briefe mehr von ihm. Er hatte außer der physischen Erkrankung noch geistliche Schwierigkeiten. Man sagt, dass er an Schizophrenie leidet. Diese Krankheit wird begleitet von Gesichtern und Stimmen, aber Ruslan hat einen gesunden Verstand – er versteht alles, analysiert alles, was in ihm vorgeht und vertraut auf den Herrn. Wir müssen für ihn beten, dass der Herr ihn wieder herstellt.

Aber ich möchte noch etwas ausführen über das Zusammenleben mit Ruslan. Am Anfang sprach Ruslan mit mir über meine Ikonen und zeigte mir die Stellen in der Bibel, die davon sprechen, dass man keine haben soll, aber ich war nicht einverstanden damit.

Ich wusste, dass ich selbst Ikonen zuhause hatte, ich wusste, dass alle zu Ikonen beteten und er sagte mir, dass das nicht richtig sei. Aber der Herr öffnete nach einiger Zeit meine Augen. Das kleine Kreuz und manche Abbildungen habe ich nach einigem Zögern vernichtet. Vorher hatte ich mich noch bei Ruslan rückversichert und fragte: „Passiert mir dafür wirklich nichts?“ Dafür, dass ich die Abbildungen zerrissen hatte, die ich bei mir fand und das Kreuz, das ich manchmal sogar küsste, wenn ich mich schlafen legte, weggeworfen hatte. Ruslan sagte: „Wirklich, es passiert dir nichts, weil Gott in seinem Wort sagt, dass das ein Greuel in seinen Augen ist“. Und ich vernichtete alle Bilder, die ich hatte. Als Ruslan meinen Eifer sah, half er mir sogar, sie zu vernichten.

Einmal ging Ruslan in der Zelle auf und ab und ich saß am Tisch. Dann fing er an über Rettung, über Jesus Christus zu erzählen. Da protestierte ich, er solle aufhören, ich wolle das nicht hören. Ich hielt meine Ohren mit den Händen zu und sagte ihm: „Glaube du für dich, aber mich lass damit in Ruhe.“

Nach einiger Zeit schenkte mir Ruslan ein Neues Testament in russischer Sprache, denn das andere, das mir meine Schwester brachte, war in ukrainischer Sprache und es war vieles für mich unverständlich. Aber die russische Sprache kann ich besser aufnehmen und ich fing an zu lesen. Ruslan erklärte mir das, was für mich nicht verständlich war. Auf den letzten Seiten dieses Neuen Testaments waren manche Erklärungen und eine Vorlage für ein Gebet, womit man sich zu Gott wendet und bekehrt. Was ich auch mehrfach tat.

In jener Zeit wurde jeden Donnerstag ein Prediger ins Gefängnis eingelassen. Er predigte im regionalen Radio und Ruslan hörte dauernd diese Predigten. Er drehte das Radio auf volle Lautstärke, obwohl ich dagegen protestierte.

Einmal, als Michail (so hieß dieser Prediger) predigte - und ich erinnere mich noch genau, ich lag auf dem Bett – drehte ich mich zur Wand, damit mich Ruslan nicht sah und weinte bitterlich. Michail wandte sich an die Gefangenen, erzählte über Jesus Christus, über seine Rettung. Jetzt verstehe ich, dass der Heilige Geist damals mein Herz berührte – er zeigte mir, wer ich bin und was ich angerichtet hatte.

Nach einer weiteren Weile fing ich an, geistliche Literatur zu lesen, die mir Ruslan gab. Diese Literatur war charismatischer Prägung. Ich schrieb denen, die uns mit dieser Literatur versorgten, dass sie noch mehr schicken sollten. Und sie sandten mir Broschüren, Bücher, Zeitschriften. Mehr und mehr erfuhr über den Herrn und seine Rettung. Vieles erzählte und erklärte mir auch Ruslan. Ich erfuhr mehr über Jesus Christus – dass er der Sohn Gottes ist und was er für uns Menschen getan hat. Und über den Heiligen Geist, wer er ist.

Im Neuen Testament, das mir früher meine Schwester gebracht hatte, waren auch die Psalmen Davids und Sprüche. Ruslan unterstrich mir die Psalmen, welche Lobpreis-Psalme sind und sagte, dass man Gott preisen solle, was er auch selbst tat. Wenn man uns zum Spaziergang führte, spazierte ich und pries den Herrn. Die Aufseher schalteten absichtlich das Radio ein, damit die Gefangenen sich nicht unterhalten konnten, aber das war für mich kein Hindernis – ich pries den Herrn. Dann lernte ich ungefähr 15 Psalmen auswendig, obwohl ich in der Schule sehr hinterher hinkte, oft fehlte und das Auswendiglernen eines Gedichtes für mich eine Qual darstellte. Hier aber schenkte mir Gott solch eine Gnade – so viele Psalmen konnte ich bald auswendig.

Einmal schrieb ich mit Ruslan ein Gesuch um ein Treffen mit Michail, der im Radio predigte. Er kam und wir lernten uns kennen. Er erzählte uns etwas über sich, und wie er zum Glauben gekommen war. An was ich mich noch aus dem Gespräch mit ihm erinnere, das war das, was er über das Gebet sagte. Wir erzählten ihm, dass wir für unsere Verwandten beteten und kein Ergebnis sahen. Dann sagte Michail: „Brüder, betet weiter. Und wenn ihr einmal den Himmel erreicht, dann werdet ihr dort die Früchte eurer Gebete sehen.“ Diese Worte hatten damals große Wirkung auf mich. Ja, ich betete und hatte immer den Wunsch zu beten. Am Anfang betete ich auf dem Bett – scheute Ruslan und die Aufseherkontrollen, die mich durch den Spion sehen konnten, aber mit der Zeit überwand ich diese Scheu, Gott sei Dank. Ja, meine Knie schmerzten und mein Körper auch, aber der Herr stärkte mich.

Es gab einen Abschnitt in meinem Leben, als der Herr eine Prüfung an mir zugelassen hatte – ich war sehr erschöpft von einer Krankheit. Alle Knochen taten mir weh, jedes einzelne Glied meines Körpers schmerzte und ich hatte hohes Fieber. Die Ärzte wussten nicht, welche Krankheit ich hatte und konnten keine Diagnose feststellen, während mein ganzer Körper schmerzte und ich völlig erschöpft davon war. Ein Knie war stark geschwollen. Es wurde punktiert. Ich schrie dabei vor Schmerz so laut, dass man es im ganzen Gebäude hören konnte. Dann legten sie mir einen Gipsverband an und ich lief auf Krücken. Aber ich hörte nicht auf zu beten – ich betete auf einem Knie. Ruslan sagte damals: „Bruder Vasili, bete doch zum Herrn liegend auf dem Bett. Warum quälst du dich so und betest auf einem Knie?“ Ich antwortete ihm: „Nein, Ruslan, vor dem heiligen Gott werde ich auch auf einem Knie knien, werde ihn um Gnade und Erlösung bitten.“

Die Mediziner taten irgendetwas, konnten aber nicht verstehen, was mit mir vorging. Dann beschlossen sie, meine Lungen zu röntgen. Sie trugen mich auf einer Trage in die medizinische Abteilung und machten Aufnahmen. Am nächsten Tag ging die Tür auf und es kam ein Sanitäter herein, in den Händen hielt er eine Spritze und Tabletten. Ich frage: „Was ist das?“. Er antwortet: „Vasili, bei Dir wurde Lungentuberkulose festgestellt.“ Ich erkrankte in diesen schrecklichen Verhältnissen nun schon zum dritten Mal an dieser schrecklichen, tödlichen Krankheit.

Aber Gott erhielt mich nach seiner großen Gnade, machte mich verständig und wie ich später verstand und sah, ließ er nur aus seiner grenzenlosen Liebe und Barmherzigkeit diese Leiden zu, bremste mich, denn ich war unbeugsam, eigenwillig und stolz. „Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt wurde, damit ich deine Anweisungen lerne.“ (Psalm 119,71). „Herr, ich weiß, dass deine Bestimmungen gerecht sind und daß du mich in Treue gedemütigt hast.“ (Psalm 119,75)

Zum ersten Mal, als ich mit Ruslan saß, als meine geistliche Erweckung begann und das Wirken des Heiligen Geistes in meiner Seele, wurde ich geheilt von Tuberkulose. Der Herr erwies mir seine Gnade. Und dann erkrankte ich zum zweiten Mal an dieser Krankheit Und wieder, obwohl mit Schwierigkeiten (es gab Widerstände seitens der Gefängnisleitung) ließ man mich wieder mit Ruslan in einer Zelle wohnen.

Zur Zeit meines Aufenthaltes in der Tuberkulose-Zelle saß in der Nachbarzelle Igor, welcher damals an der gleichen Krankheit litt und es gelang immer wieder sich mit ihm über geistliche Themen auszutauschen. Damals war ich schon ein eifriger Anhänger der charismatischen Bewegung, was ich auch in Gesprächen mit Bruder Igor verteidigte. Igor übergab uns hin und wieder geistliche Literatur, die Zeitschrift „Bote der Wahrheit“. Ruslan las es, aber ich war kein großer Leser, ich blätterte eher durch und sah mir die Bilder an. Manche las ich auch, aber ungern, da ich vieles von dem Gelesenen nicht verstand.

Einmal übergab uns Igor das Buch „Die Sünde – das Übel alles Bösen von I. W. Kargel. Ruslan las verschiedene Literatur – auch orthodoxe, und andere, was ihm in die Hände fiel und sagte mir: „Wenn du einen Fisch issest, dann wirfst du die Gräten weg und das Fleisch isst du. So ist es auch mit der Literatur – das Gute nimmst du an und den Rest wirfst du weg.“ Später sah ich, wie falsch es ist so zu handeln und was für bittere Folgen es davon gibt.

Ich will nochmal zu den Ereignissen kommen, die mit dem Buch von Kargel zusammenhängen. Ruslan las diese Broschüre und sagte: „Vasili, wir werden kein Radio mehr hören – das ist Sünde“. Ich erwiderte: „Und wieso?“, worauf er antwortete: „So halt – das ist Sünde“.

Und er fing an, mir alles vorzugeben. Aber ich war nicht einverstanden und protestierte. Ich sagte: „OK, Popmusik oder andere weltliche Lieder müssen wir nicht hören, aber eine ganz einfache Musik, Lieder – das können wir doch hören“. Aber er schnitt das kategorisch mit einem Nein ab.

Es ging so weit, dass wir uns stritten. Zum Glück ging es nicht bis zu Prügeleien, immerhin war er größer als ich, 1,90 m – und ich war kleiner. Ich hatte Angst, auch wenn der Bruder wie ein Kind ruhig und sanftmütig war.

Mit der Zeit verstand ich, dass das den Herrn betrübt, dann schalteten wir das Radio nur noch an, um Predigten zu hören, nur für etwas das aufbaut und nützlich ist für die Seele. Bruder Igor bekam immer wieder neue Zeitschriften und gab sie auch an uns zum Lesen weiter. Wenn sich eine Gelegenheit ergab oder auch im Spaziergang, wenn der Bruder hinter der Absperrung spazierte, oder wenn sich sonst eine Gelegenheit ergab sich zu unterhalten, bewies der Bruder immer wieder, dass die Strömung, das, was Ruslan und ich lesen und so feurig verteidigten, eine Verirrung sei.

Nun fing ich an zu wanken und zu zweifeln. Ich dachte mir: „Was tun, wo ist die Wahrheit, wo der richtige Weg?“ Ruslan sagte eine Sache, Igor etwas anderes und ich fing an zu beten und den Herrn zu bitten, dass er mir den richtigen Weg zeigt, wo seine Kinder sind welchen ich mich anschließen konnte. Und der Herr sprach zu mir durch die Zeitschrift „Bote der Wahrheit“. Diese weckte mein Interesse und ich fing an zu lesen. So habe ich auch in der Bibel die Bestätigung gefunden in Apostelgeschichte: „…dass wir durch viele Bedrägnisse in das Reich Gottes eingehen müssen“ (Apostelgeschichte 14,22). Dann verglich ich das mit der Lehre von Copeland, wo es Streben nach Reichtum gibt und wo die Lehre sagt, dass ein Gläubiger niemals krank sein darf und anderes mehr.

In den Zeitschriften bemerkte ich das Aussehen der Gläubigen, die Kleidung ist anständig und bescheiden, die Schwestern haben eine Kopfbedeckung und vieles mehr. Ich verstand, dass das das Volk Gottes ist und ich dankte dem Herrn, dass er mir den rechten Weg gezeigt hatte und auf meine Gebete geantwortet hat. Es gab Diskussionen mit Ruslan, wo wir das Wort Gottes betrachteten und Literatur verglichen. Dann lernten wir noch andere Brüder kennen: Dima, Waldemar, Jurij, Sergej. Wenn sich eine Gelegenheit ergab, grüßten wir einander, schrieben Zettel und wenn wir uns auf den Spaziergängen begegneten, unterhielten wir uns auch.

Noch eine Weile später sah der Herr einen Raum vor – eine Werkstatt, wo wir gemeinsam unsere Gebete verrichten konnten. Der Herr lehrte uns geistliche Lieder zu singen. Und nun sind wir schon so viele Jahre zusammen. Das ist eine große Gnade Gottes an uns!

Als der Herr in mein Leben hineinkam und anfing, es zu verändern, sich um mein kaputtes Herz bemühte, war in mir so ein Wunsch anderen Menschen Zeugnis zu geben von dem, was der Herr in meinem Leben getan hat. Und dass der größte Wunsch des Herrn ist, dass die Menschen von der Dunkelheit ins Licht kommen und durch Glauben an ihn Rettung und ewiges Leben bekommen. Darüber zeugte ich hauptsächlich dem Gefängnispersonal, denn ich hatte wenig Begegnung mit den Insassen des Gefängnisses – es gab eine strenge Isolation. Gepriesen sei mein Herr für seine wunderbare Vorsehung in meinem Leben und in dem meiner kostbaren Brüder, die hier mit mir sind.

Ich möchte noch ein Zeugnis anführen über die wunderbaren Taten Gottes in unserem Leben – eine Antwort des Herrn auf unser mit den Brüdern gemeinsames Gebet.

Einmal bekam ich von den Verwandten zuhause eine Nachricht, dass mein Onkel an Magenkrebs schlimm erkrankt war. Es gab eine Zeit, als er zu mir auf Besuch kam und ich ihm vom Herrn zeugte. Ja, auch in den Briefen an meine Verwandte schrieb ich hauptsächlich über die Rettung, über das ewige Leben und auch über die Verurteilung derjenigen, die nicht die frohe Botschaft annahmen.

Mein Onkel lebte sein Leben nicht sehr gut. Er trank sehr oft bis zur Bewusstlosigkeit und fügte meiner Tante viel Leid zu. Als ich und die Brüder diese Nachricht erfuhren, fingen wir an für meinen Onkel in unserer Gebetsgruppe zu beten. Ja und auch betete ich unter Tränen in meiner Zelle, dass der Herr sich über ihn erbarmt und ihn rettet, da ich mich in solchen Umständen befinde, dass ich ihn nicht besuchen kann, um mit ihm zu reden, ihm den Herrn zu bezeugen, dass das Leben nicht einfach nur so endet, und dass man für sein Leben und alles Böse was man getan hat, Rechenschaft vor Gott ablegen wird.

Wir baten im Gebet, dass der Herr einen seiner Diener zu ihm ins Krankenhaus senden würde und der Herr mein und unser gemeinsames Gebet erhört.

Nach einiger Zeit, nachdem der Onkel in die Ewigkeit gegangen war, kam meine Mutter zu mir zu Besuch. Als erstes bat ich sie, über die letzten Tage von Onkel Wanja zu erzählen. Mama erzählte, dass sie sich beim Beaufsichtigen abgewechselt hatten und dass einmal zu ihm ein Mann kam, und wie es sich später herausstellte, war dieser gläubig. Sie hatten einige Gespräche zusammen, und nach einiger Zeit hörte meine Mutter, dass dieser Mann ihn auf einmal Bruder Wanja nannte. Als meine Mutter an dieser Stelle ihrer Erzählung ankam habe ich mich direkt dort in der Besichtigungskabine gleich gesetzt und dankte dem Herrn, dass Er, der Herr, durch diesen Mann meinen Onkel besucht hatte und ihm Erbarmen geschenkt hat. Ich fragte meine Mutter, um etwas mehr von diesem Menschen und der Begegnung zu erfahren, und wie ich mich mit ihm in Verbindung setzen könnte. Aber die Schwester sagte, dass dieser Mensch nicht wieder gekommen war. Dann erzählte meine Mutter noch, dass der Onkel versprach, dass er, sobald er genesen sei, in die Kirche gehen würde, wo auch dieser Mann herkam. Aber der Herr hat ihn zu sich geholt.

Ich führe noch ein Beispiel aus meinem Gefängnisleben an: Das Leben lief seinen Gang. Die Brüder und ich arbeiteten, führten ein Gebetsdienst. Es gab auch Schwierigkeiten in unserem Leben, da jeder einen anderen Charakter hat und jeder auch seine Verdorbenheit begriff, und wenn irgenwo etwas geschah – ein Streit oder Beleidigung oder ein Geschrei, das haben wir alles auf den Knien gelöst – zuerst versöhnten wir uns, und dann baten wir unseren Herrn um Gnade und taten Buße.

Mich beunruhigte ein Problem aus meinem früheren Leben. Manchen, mit denen ich in der Zelle saß, vertraute ich mich an, aber allen öffnete ich mich nicht. Das war im Zusammenhang mit meinem Verbrechen, welches ich beging, während ich mich noch in Krasnojarsk befand, wo ich mich vor der Bestrafung verbarg für meine Tat hier in der Ukraine und welches ich der Obrigkeit noch nicht bekannt hatte. Dort, in Krasnojarsk, beging ich ein Verbrechen, aber darüber wusste niemand und dann wurde ich in die Ukraine versetzt.

Im Jahr 2007 überführte mich der Herr darin, als einer von den Brüdern betete und die Worte benutzte: „Herr, wie gut wäre es, wenn Du heute kommst!“. Vor diesen Worten bekam ich Angst, denn wenn der Herr kommen würde, würde ich zurückbleiben, weil ich mein Verbrechen nicht bekannt hatte. Nach dem Gebet bat ich Juri Bubir zur Seite und vertraute mich ihm an. Ich erzählte ihm meine Gedankengänge und fragte ihn um Rat. Der Bruder sagte: „Ja, es ist ein ernsthaftes Problem und das muss man aufdecken.“ Er führte eine Schriftstelle an „Wer seine Schuld verheimlich, dem wird es nicht gelingen; wer sie aber bekennt und lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen“. Sprüche, 28,13

Nun bekannte ich meine Schuld auch allen Brüdern. Sogleich knieten wir uns hin und beteten. Wir baten um Gottes Hilfe und übergaben diese Sache in seine liebenden Hände. Ich rief den Abteilungschef, legte alles über diese Sache offen und alles nahm sehr schnell seinen Gang. Ich schrieb ein Schuldbekenntnis, wo ich alles so detailliert, wie ich mich erinnern konnte, beschrieb, machte Angaben und übergab es dem Abteilungschef. Die Brüder und ich beteten täglich über dieses Anliegen, aber der Arglistige trat an mich heran und redete mir verschiedene Gedanken ein – dass ich die Freiheit niemals sehen werde, dass ich auch keinen von meinen Verwandten jemals sehen werde, weil man für solche Verbrechen nach Sibirien verbannt wird, wo ich für immer bleiben würde. Traurigkeit und Sehnsucht überfiel meine Seele, aber ich rief zum Herrn, bat um Stärkung und darum, dass er mich einen Weg führt, der Ihm gefällig ist, dass ich gehe. Und dass der Herr mir die Gnade schenkt, auf Ihn zu hoffen und Ihm zu vertrauen, und ich im Glauben gestärkt werde, dass er mich nicht verlässt noch versäumt.

Es verging einige Zeit, und ich dachte schon, dass es das war. Aber einmal befahl man mir, mich in die Uniform zu kleiden. Ich fragte, wohin wir gehen, und sie antworteten, in die Vernehmungsbüros. Ich verstand sofort, was das bedeutete, und dachte schon, dass Ermittler aus Krasnojarsk gekommen seien, aber ich täuschte mich. Ich wurde gerufen seitens der Staatssicherheit – zwei Personen, sie waren sehr ernst. Wir stellten uns vor, sie fragten, wie es mir ginge. Und ich, natürlich, fing an, über die allerwichtigste Sache, die ich mit ihnen zu reden habe, zu sprechen – eine günstige Gelegenheit ein Zeugnis zu geben darüber, was der Herr in meinem Leben getan hat. Sie hörten mich an, klärten einige Details meines Bekenntnisses und ich stellte eine Frage – wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass sie mich wegbringen, nach Krasnojarsk. Sie sagten, dass das nicht von ihnen abhängt. „Wir senden eine Anfrage, aber wie es ausgeht, wissen wir nicht“.

Ich bekannte ihnen auch, warum ich das tue, denn wenn ich geschwiegen hätte, würde es keiner wissen. Ebenso schrieb ich in meinem Geständnis, dass ich an Gott gläubig geworden bin und bereit bin, jede Strafe zu ertragen. Am Ende unserer Unterhaltung ermutigten sie mich zur Mitarbeit, und ich stellten ihnen die Frage, ob sie wissen wer Judas war und welches Schicksal ihn ereilt hatte.

Sie sagten „ja, wissen wir“. Und ich antwortete, dass ich nicht möchte, dass das gleiche Urteil mich ereilt.

Es verging Zeit, ich blieb in Erwartung, dass sie mich tagtäglich holen könnten, und deshalb hatte ich das Nötigste für den Weg vorbereitet. Aber der Herr ist seinem Wort treu: „Ich bin der Herr… die auf mich harren, werden nicht zuschanden werden“ Jesaja 49,23“. „Befiehl dem Herrn deinen Weg, und vertraue auf Ihn, so wird Er es vollbringen“ Psalm 37,5.

Bis zum heutigen Tag darf ich mit meinen Brüdern sein, ich wurde noch nirgendwohin verlegt und ich preise meinen Herrn für alle seine Gnadenbeweise, die er an mir erwiesen hat.

Shitomir, im Jahr 2014
übersetzt von L. Mittelstädt
überarbeitet von A. Dietz
Stand 23.05.2020

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